Kurzdefinition:
Ableismus setzt sich zusammen aus dem englischen Wort able, also fähig sein, und -ismus. Das sozialwissenschaftliche Konzept stammt aus der US-amerikanischen Behindertenbewegung und meint die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Menschen, die kognitive, emotionale oder physische Beeinträchtigungen aufweisen. Ableismus wird analog zu vergleichbaren Ausgrenzungsvarianten wie Rassismus und Sexismus verwendet. Im Mittelpunkt stehen Vorurteile, Stigmatisierungen und diskriminierende Handlungen gegenüber Mitgliedern einer Gesellschaft, die der soziokulturell vermittelten Kategorie behindert zugeordnet und auf diese reduziert werden.
Zitat:
„Die Diskrepanz der sozialen Zusammensetzung der Stadiongänger_innen im Profifußball im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft und auch die Abwesenheit entsprechender Erhebungen zu bestimmten Merkmalen gesellschaftlicher Heterogenität können Indikatoren für mögliche strukturelle, institutionelle oder soziale Zugangsbarrieren im Fußball sein. Diese Barrieren können die Ausgrenzung bestimmter Mitglieder der Gesellschaft im Stadion begünstigen oder auch den aktiven Besuch eines Fußballspiels für sie erschweren oder sogar unmöglich machen.“
Erläuterung:
Die wenigsten Fußballanhänger*innen werden sich im kollektiven Rausch des Stadionbesuches folgende Fragen gestellt haben: Ist mein Platz in der Fankurve barrierefrei zugänglich? Können Menschen mit einer Seh- oder Hörbeeinträchtigung gleichermaßen selbstbestimmt und gleichberechtigt am Geschehen im und um das Stadion partizipieren? Wie beschwerlich ist die Organisation einer Auswärtsfahrt für Menschen im Rollstuhl? Ist das Ticket für Fußballfans mit einer kognitiven, psychischen und physischen Behinderung tatsächlich nur drei Mausklicks entfernt? Wie ist es insgesamt um das Thema Inklusion im Fußball bestellt? Hand aufs Herz! Sie haben sich diese Fragen noch nicht gestellt. Gründe dafür gibt es sicherlich mehr als genug.
Im sozialen Mikrokosmos Fußballstadion ist eine Hierarchisierung von Menschen entlang der binären Kategorien „gesund/normal“ und „behindert“ zu erkennen, die zu einer Diskriminierung von Menschen führt, die von den Normalitätsvorstellungen und Körperidealen der Mehrheitsgesellschaft abweichen. Die Fußball(fan)kultur und die damit in Verbindung stehenden Institutionen sind für die „Abweichler*innen“ charakterisiert durch mannigfaltige soziale, kulturelle, wirtschaftliche und strukturelle Barrieren. Diese Barrieren und Einschränkungen fallen den Vertreter*innen der Mehrheitsgesellschaft gar nicht auf. Das liegt in erster Linie daran, dass die Menschen ohne körperliche und geistige Behinderungen an der Konstruktion dieser Normalität bzw. der damit einhergehenden Machthierarchien sowie Körperdiskurse aktiv beteiligt sind und diese legitimieren. Eine Abweichung vom funktionierenden Normalkörper zieht im Fußballstadion in der Regel eine so genannte „Besonderung“ und „Segregation“ als Randgruppe nach sich.
Fußballfans mit Behinderungen bekommen separate Bereiche im Stadion zugewiesen. Diese Praxis wird jedoch aus Sicht der Betroffenen als Ausgrenzung, Fremdbestimmung, Marginalisierung und Diskriminierung wahrgenommen, weil von dort nur sehr eingeschränkt Teilhabe und Interaktion möglich ist. Diese Gettoisierung im sozialen System Fußballstadion verhindert Anerkennung, Wertschätzung und Identifikationsmöglichkeiten, da ein Mitfiebern auf Augenhöhe mit den anderen Fans größtenteils ausbleibt. Zahlreiche sozialarbeiterisch tätige Institutionen im Fußball(fan)kontext fordern seit einigen Jahren einen Paradigmenwechsel hin zu einer inklusiveren und barriereärmeren Gesellschaft mit klaren Anforderungsprofilen und Handlungslinien im Fußballstadion, bei denen Inklusion und Antidiskriminierungsarbeit Hand in Hand gehen. Diese Inklusionsbestrebungen im Fußball setzen stets an den unhinterfragten, alltäglichen, historisch gewachsenen und kulturell überlieferten Normalitätsvorstellungen einer Gesellschaft an.
Literatur:
Egen, Christoph: Was ist Behinderung? Abwertung und Ausgrenzung von Menschen mit Funktionseinschränkungen vom Mittelalter bis zur Postmoderne. Bielefeld 2020.
Dederich, Markus: Behinderung als sozial- und kulturwissenschaftliche Kategorie. In: Dederich, Markus & Jantzen, Wolfgang (Hg.): Behinderung und Anerkennung. Stuttgart 2009, S. 15-40
Dederich, Markus: Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld 2015.
Steinfurth, Kerstin: Das Fußballstadion als Stätte inklusiver Kultur. Eine Untersuchung der Interaktionen von Fans des 1. FSV Mainz 05 zur Teilhabe der Fans mit Behinderungen. Mainz 2020.
Waldschmidt, Anne & Schneider, Werner (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung. Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld 2007.
Walter-Klose, Christian: Behinderung und Inklusion. In: Department of Community Health (Hg.): Community Health. Grundlagen, Methoden, Praxis. Weinheim 2022, S. 301-312.
Wurbs, Daniela & Hansing, Florian: Anstoß für Inklusion – als Kernaufgabe der Fanprojektarbeit? In: Arnold, Patrick & Kotthaus, Jochem (Hg.): Soziale Arbeit im Fußball. Theorie und Praxis sozialpädagogischer Fanprojekte. Weinheim 2022, S. 153-172.