Antisemitismus

Kurzdefinition:

Unter Antisemitismus werden alle Denk- bzw. Ausdrucksformen der Feindseligkeit und der Abneigung gegenüber Jüdinnen und Juden verstanden. Sowohl antisemitische Äußerungen und Handlungen als auch antijüdische Ressentiments können von Individuen und Kollektiven ausgehen, deren stereotypes Wissen auf einem Weltbild fußt, dass Jüdinnen und Juden homogenisiert, essentialisiert und stigmatisiert. Geschichtlich betrachtet zeichnet sich der Antisemitismus durch eine starke Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen Bedingungen und gesellschaftlichen Kontexte einer spezifischen Epoche aus.


Zitat:
„Lars Rensmann versteht Antisemitismus „als besondere, moderne und politisch-kulturell situierte Form der Stereotypenbildung, sowie [...] als Ensemble von Vorurteilen, Klischees, fixierten kollektiven Bildern, binären Codes und kategorialen Attribuierungen sowie diskriminierenden Praktiken gegenüber Juden, die sich zur politischen Ideologie und zum Weltbild verdichten können. Wiewohl sich Kriterien zu ihrer Erfassung systematisch begründen lassen, manifestieren sich antisemitische Vorurteilsmuster und Ideologeme demnach im ideologiegeschichtlichen Prozess nicht starr und identisch, sondern sind in Abhängigkeit von der politischen Konstellation und dem politisch-kulturellen Gefüge zu deuten. Im demokratischen Kontext finden sie sich vielfach auch in codierten, indirekten und symbolischen Formen.“

(Rensmann 2004: 2)


Erläuterung:

Es ist das Jahr 1996. Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer spielt im oberschlesischen Zabrze gegen Polen. Das Stadion liegt keine 50 Kilometer entfernt vom ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Während der deutschen Nationalhymne zeigen die aus Deutschland angereisten rechtsradikalen Hooligans den Hitlergruß. Es folgen Gesänge wie „Wir sind in Polen, um die Juden zu versohlen“. Danach wird ein Transparent ausgerollt, auf dem Folgendes zu lesen ist: „Schindler-Juden Wir grüßen euch“. Ein ähnlich offen zur Schau gestellter Antisemitismus manifestierte sich auch in den Namen ehemaliger rechter Fangruppierungen von Hertha BSC. Ausgestattet mit einem fatalen Geschichtsbewusstsein nannten sich diese Kollektive „Zyklon B“ und „Wannseefront“. Bei der An- und Abreise zu Fußballspielen skandieren Neonazis und rechtsradikale Fußballanhänger*innen in Öffentlichen Verkehrsmitteln nicht selten ein Lied, das den Bau einer U-Bahn bis nach Auschwitz zum Inhalt hat. Neben diesen offenen Formen der Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden, die sich in der Gegenwart auch in der Beschimpfungskultur im und um das Stadion sowie auf Social Media Kanälen finden, sind auch unterschwellige antisemitische Ressentiments feste Bestandteile der Fußball(fan)kultur. Heute lassen sich zumeist von rechtsoffenen Fangruppierungen verwendete Chiffren, Kodes, Metaphern, Verschwörungserzählungen und Symbolbilder erkennen, die sowohl den Holocaust relativieren, negieren oder sogar verherrlichen als auch in Form einer vermeintlichen Kritik am Staat Israel versteckt werden. 

Literatur:

Benz, Wolfgang: Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments. 3., aktualisierte Auflage. Frankfurt am Main 2020.

Benz, Wolfgang: Was ist Antisemitismus? München 2004.

Brunssen, Pavel: Antisemitismus in Fußball-Fankulturen. Der Fall RB Leipzig. Weinheim 2021.

Claus, Robert: Hooligans. Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik. 2., aktualisierte Auflage. Göttingen 2018.

Rensmann, Lars: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 2004.

Rensmann, Lars & Schoeps, Julius H. (Hg.): Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa. Berlin 2008.

Salzborn, Samuel: Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie. Baden-Baden 2014.

Schwarz-Friesel, Monika & Reinharz, Jehuda: Die Sprachen der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin 2013.

Schubert, Florian: Antisemitismus im Fußball. Tradition und Tabubruch. Göttingen 2019.

 

 

 

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