Antiziganismus

Kurzdefinition:

Antiziganismus bezeichnet die Stigmatisierung und Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja. Sinti*zze und Rom*nja sind eine der größten Minderheiten Europas und leben seit über 600 Jahren in Deutschland. Das mehrheitsgesellschaftliche Wissen über ihre Lebensweisen und Alltagsrealitäten ist von klischeehaften Vorurteilen und Ressentiments geprägt.


Zitat:
„Antiziganismus bezeichnet ein historisch gewachsenes und sich selbst stabilisierendes soziales Phänomen, das eine homogenisierende und essenzialisierende Wahrnehmung und Darstellung bestimmter sozialer Gruppen und Individuen unter dem Stigma oder anderer verwandter Bezeichnungen, eine damit verbundene Zuschreibung spezifischer devianter Eigenschaften an die so Stigmatisierten sowie vor diesem Hintergrund entstehende diskriminierende soziale Strukturen und gewaltförmige Praxen umfasst.“

(End 2013: 47)


Erläuterung:

Als die Deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer im September 2005 in Bratislava gegen die Slowakei antrat, tönten von den Rängen antiziganistische, ausländerfeindliche und das nationalsozialistische Unrechtsregime verherrlichende Gesänge, in denen auch das Z-Wort ausgesprochen wurde. Visuelle und verbale Formen der Diskriminierung gegen Sinti*zze und Rom*nja in Form des Z-Wortes lassen sich im Fußballkontext in diversen Ausprägungen beobachten.

Sowohl auf Transparenten, Spruchbändern und Bannern als auch in Gesängen, Zwischenrufen und Witzen taucht die stigmatisierende Fremdbezeichnung in kontinuierlicher Regelmäßigkeit auf. Im kollektiven Rausch von Aufstiegsfeiern gerieten antiziganistische Aussprüche in der Vergangenheit vermehrt in den Mittelpunkt des medialen Interesses, weil Trainer oder andere Vereinsfunktionäre von den euphorisierten Spielern mit antiziganistischen Gesängen bedacht wurden. Das Z-Wort und die damit in Verbindung stehenden Ressentiments und Klischees, so weist es der Fanforscher Pavel Brunssen in seinem 2020 im Auftrag der Unabhängigen Kommission Antiziganismus des Deutschen Bundestages erstellten Gutachten nach, ist fester Bestandteil der Alltags- und Beleidigungskultur im Fußball(fan)kontext.

Im Rahmen dieser material- und erfahrungsgesättigten Untersuchung kommt Brunssen zu der Schlussfolgerung, dass die populärkulturellen Sphären des Fußballs ideale Gelegenheitsstrukturen für die Tradierung, Reproduktion, Verfestigung und Neubelebung von antiziganistischen Denkmustern anbieten. Berechtigt ist auch folgende Frage: Auf welche Wissensbestände greifen die Akteur*innen aus dem Fußball bei der Anwendung dieser exotisierenden, mystifizierenden und stigmatisierenden Ressentiments über Sinti*zze und Rom*nja zurück? Größtenteils sind diese Negativbilder das Resultat der nationalsozialistischen Rassenideologie unter Heinrich Himmler und Robert Ritter, die mit der Verfolgung, Gettoisierung und Ermordung dieser Minderheit endete. Sowohl die systematische Ausgrenzung und Diskriminierung als auch die Nichtanerkennung des Völkermordes prägten die Alltagswirklichkeit der Sinti*zze und Rom*nja in den Jahrzehnten nach 1945.

Dass zwischen der rassistischen Herrenmenschenideologie des Dritten Reichs und dem Antiziganismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft starke Kontinuitätslinien zu erkennen sind, zeigen die Arbeiten von Hermann Arnold und die behördlichen Vorgehensweisen der im Bayerischen Landeskriminalamt bis ins Jahr 1965 ansässigen „Landfahrerzentrale“.
 

Literatur:

Brunssen, Pavel: Antiziganismus im Fußball und in Fußball-Fankulturen. Gutachten im Auftrag der Unabhängigen Kommission Antiziganismus des Deutschen Bundestages. 2020.
 
End, Markus: Antiziganismus. Zur Verteidigung eines wissenschaftlichen Begriffs in kritischer Absicht. In: End, Markus et al. (Hg.): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments. 2. Auflage. Münster 2013, S. 39-72.
 
Jocham, Anna Lucia: Antiziganismus. Exklusionsrisiken von Sinti und Roma durch Stigmatisierung. Konstanz 2010.
 
Lausberg, Michael (Hg.): Antiziganismus in Deutschland. Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Marburg 2015.
 
Matter, Max: Roma – missachtete Minderheit Europas. Ein Plädoyer für eine verstärkte Beachtung in Lehre und Forschung in unserem Fach. In: Zeitschrift für Volkskunde 102 (2006), S. 17-42.
 
Stender, Wolfram (Hg.): Konstellationen des Antiziganismus. Theoretische Grundlagen, empirische Forschung und Vorschläge für die Praxis. Wiesbaden 2016.

 

 

 

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